Der steuerberatende Beruf muss unabhängig bleiben!

Vizepräsident StB WP Michél Herrmann

Viel war im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Entscheidung des EuGH zur Frage der Fremdbeteiligungsmöglichkeit an einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft darüber spekuliert worden, ob das Gericht die sogenannten Kapitalbindungsregelungen, die nahezu identisch auch für Berufsausübungsgesellschaften nach dem StBerG bestehen, kippen könnte. Hatte doch der Generalanwalt im Juli 2024 noch die Auffassung vertreten, die entsprechenden Regelungen seien unionsrechtswidrig. Hintergrund des Verfahrens war der Entzug der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft durch die zuständige Rechtsanwaltskammer, nachdem eine österreichische nicht-anwaltliche Gesellschaft als Mehrheitsgesellschafterin in die Berufsausübungsgesellschaft, jedoch ohne Stimmrechte und ohne Einfluss auf die Berufsausübung der in der Berufsausübungsgesellschaft tätigen Rechtsanwälte, aufgenommen wurde. Der EuGH ist jedoch in seiner Entscheidung vom 19.12.2024 (C-295/23 Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft) seiner bisherigen Linie treu geblieben und hat befunden, dass zwar die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit durch die Regelungen tangiert werden, dies aber gerechtfertigt ist, und zwar aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, insbesondere der geordneten Rechtspflege und unabhängigen Rechtsberatung, mithin der anwaltlichen Integrität.

Bei einem reinen Finanzinvestor beschränke sich das mit der Beteiligung an der Berufsausübungsgesellschaft verfolgte Ziel auf das Streben nach Gewinn, während sich die anwaltliche Tätigkeit nicht an reinen wirtschaftlichen Zwecken ausrichte, sondern auch an die Einhaltung von Berufs - und Standesregeln gebunden sei. Das Bestreben des Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könne sich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könnte der Investor zum Beispiel versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken. Dies könnte aber die anzustrebende Unabhängigkeit der Rechtsberatung gefährden. Etwa, wenn der Investor damit droht, seine Investitionen bei Nichtbefolgung zurückzuziehen. Das Gericht stellte klar, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes unerlässlich ist, dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt, was insbesondere voraussetze, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit – einschließlich in finanzieller Hinsicht – gegenüber staatlichen Stellen und anderen Wirtschaftsteilnehmern befinden, deren Einfluss sie nicht ausgesetzt sein dürfen.

Die Entscheidung des EuGH ist aus Sicht des Berufstandes ausdrücklich zu begrüßen. Zwar erging die Entscheidung noch zum alten Berufsrecht, ist aber aufgrund der allgemeinen oben skizzierten Aussagen ohne weiteres auch auf das seit dem 01.08.2022 geltende reformierte Berufsrecht der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften anwendbar. Infolge der Wesensgleichheit der Berufsrechte der Rechtsanwälte und Steuerberater und der Stellung des Steuerberaters als Organ der Steuerrechtspflege, können die oben genannten Grundsätze des EuGH im Übrigen auch auf den steuerberatenden Beruf übertragen werden. Gerade im Hinblick auf die im Berufsbild der Steuerberater typischen Dauermandate mit ihrem umfassenden Einblick in die Mandantenverhältnisse könnten die Begehrlichkeiten bei Investoren und die Gefahren für die Unabhängigkeit der Steuerberatung als noch gravierender einzustufen sein.

Aus Sicht des Berufsstandes muss daher die Erwartung formuliert werden, dass auch im Rahmen der für Juni 2025 angekündigten Binnenmarktstrategie der Europäischen Kommission die vom EuGH als schützenswert anerkannten Allgemeininteressen beachtet und keine diese konterkarierenden Deregulierungsmaßnahmen eingeführt werden. Die Bundessteuerberaterkammer hat hierzu in ihrer Stellungnahme zur Binnenmarktstrategie das Richtige und Notwendige gesagt.

Die Entscheidung des EuGH sollte dazu anspornen, einflussreichen Marktakteuren, die der Auffassung sind, in den gegenwärtigen gesetzlichen berufsrechtlichen Regelungen ein Schlupfloch für die mittelbare Beteiligung ausländischer Finanzinvestoren an Berufsausübungsgesellschaften gefunden zu haben, entgegenzutreten. Jedenfalls sollte der Gesetzgeber hier schnellstmöglich für Klarheit sorgen.

Im Hinblick auf den kapitalintensiven Einsatz von KI wird die Entscheidung des EuGH, die fremde Kapitalgeber an der Beteiligung an Berufsausübungsgesellschaften hindert, vereinzelt auch kritisch gesehen. Es muss jedoch dabei bleiben, dass auch durch die grundsätzlich zu begrüßende Innovationsfreudigkeit des Berufsstandes und den weithin gewünschten Einsatz der KI in der Kanzleipraxis wesentliche Eckpfeifer des unabhängigen steuerberatenden Berufs als Freier Beruf im Interesse des Verbraucherschutzes und des Allgemeinwohlinteresses nicht geschliffen werden dürfen. Sachgerechte Lösungen können auch durch kreative, dennoch die unverzichtbaren Berufsstandards nicht gefährdende Gestaltungen erreicht werden.

Ein Standpunkt von Vizepräsident StB WP Michél Herrmann, Vorsitzender der Vorstandsabteilung Berufsrecht/Berufsaufsicht der StBK Hessen.